Selbst ich gehe irgendwann.

Ich denke in letzter Zeit immer öfter darüber nach, meine Beziehung zu beenden. Das ist für mich völlig ungewohnt, aber mir zumindest nicht unbekannt. Ich bin eher vom Typ Frau, die dem Mann das Gefühl geben will und es auch oft sagt: „Ich verlasse dich nicht!“.

Aber was, wenn es einen immer mehr dort hinzieht? Nicht nur im Kopf. Nicht nur diktiert durch Logik und Empirie, sondern auch vom Herzen her. Weil es seine Ruhe will von der ganzen Demütigung, von dem ganzen Schmerz, von dem Alleinsein, obwohl wir zwei sind. 

Mich zieht es im Herzen momentan immer mehr zu diesem, sich mittlerweile irgendwie so erlösend anfühlenden, Schlussstrich. Ich habe zu lange ausgehalten. Ich bin irgendwie schon zu lange da! Es sind nun fast 4 Jahre, die natürlich auch aus schönen, aber meist aus viel zu vielen unnötigen Enttäuschungen, Zurückweisungen, Nichtbeachtungen und indirekten Demütigungen bestanden haben.

Warum ich nicht schon früher gegangen bin, weiß ich. Aus echter Liebe und der aus ihr entspringenden Hoffnung, es würde sich alles nach und nach zusammenfügen, wenn ich nur beweise, dass ich selbst bei rauher See das Schiff nicht verlasse, wie es so viele andere Menschen tun. Ich habe deswegen immer weiter gewartet, gehofft und alles aus Verlustangst herunter geschluckt, habe nicht offen darüber gesprochen, wie es mir wirklich mit diesen ganzen negativen Dingen ging, die mir begegnet sind, um Streit und Unfrieden zu vermeiden. Mein Freund ist ein sehr sensibler Mensch, aber mit passiv-aggressiven Verhaltensmustern, einer Depression und einem Alkoholproblem in Form von psychischer Abhängigkeit. Schon ein ruhiger klärender Austausch kommt für ihn einem Streit gleich und er macht zu. Das hat mich die ganzen Jahre sehr verunsichert und völlig gehemmt. Auch das waren Gründe zu bleiben.

Die Verlustangst verschwindet aber zur Zeit immer mehr. Ich empfinde mittlerweile Enttäuschung, Wut und Ekel so deutlich, wenn ich an meine Beziehung denke, wenn ich an ihn denke, und kaum noch Herzflirren und Bauchkribbeln. Mir begegnet ständig Ungerechtigkeit und Geringschätzung, und ich halte eigentlich keine von ihnen mehr aus. Das Ganze kommt immer in kleinen Happen, aber auch die machen irgendwann den Kübel voll!

 

Und mein Kübel ist voll! Übervoll! Und am liebsten würde ich das in die ganze Welt hinaus schreien, ja den Kübel über ihr ausschütten. Innerlich schreie ich schon sehr lange sehr laut! Aber das hört ja keiner außer mir.

Wenn jemand auf mich sauer ist, oder mich für einen Stresssucher hält, mag ich das gar nicht. Ich mag mich so gar nicht. Ich bin auch sehr ungern derjenige der fingerpointet oder den anderen offen kritisiert. Ich versuche immer, den Menschen als Ganzes, mit all seinen Defiziten, Neurosen oder Süchten, so zu akzeptieren wie er ist, bzw. wie er sein will, und ihm in seinen Schwächen zu helfen oder diese wortlos zu kompensieren.

Wenn man es aber wie ich mit einem ichzentrierten Menschen zu tun hat, der aus Angst sein ganzes Leben auf falschen Selbstbildern aufbaut und durch sie agiert, wenn man mit einem solchen Menschen dann so wie ich auch noch eine Beziehung führt, wenn man einen solchen Menschen wirklich liebt, ist man in der Falle!

Realität und Wunschvorstellung sind in ihm vermischt. Manchmal agiert die reale Persönlichkeit, manchmal agiert nur eine Persönlichkeit die er vorgibt zu sein, bzw. gerne wäre, aber gar nicht ist. Die reale Persönlichkeit bringt immer Klarheit und Ruhe. Die Wunschpersönlichkeit kommt mit Lügen und bringt am Ende (für beide) nur Leere und Erschöpfung.

Die Fakepersönlichkeiten sind wie Schatten. Sie tauchen immer wieder in anderer Gestalt auf, stehen sich teilweise sogar konträr gegenüber und widersprechen sich. Man denkt zunächst, „So kann er doch nicht sein? Das ist er doch nicht!“. Man hat jetzt nur die eine Möglichkeit, es bei ihm anzusprechen. In diesem Fall antwortet aber nicht die reale Persönlichkeit, sondern die Fakepersönlichkeit. Und somit kommt als Reaktion automatisch immer nur eine Lüge zurück, weil sie zu dieser Fakepersönlichkeit gehört. Auf diese Reaktion reagiert man dann wieder, und so geht es dann weiter. Man glaubt diesem Fake, man nimmt ihn für voll und behandelt ihn auf Augenhöhe, man streitet mit diesem Fake, man akzeptiert diesen Fake und nach und nach verliert man die Fähigkeit, zwischen Fake und Echt zu unterscheiden. Genau so ging und geht es mir mit dem Mann den ich liebe!

Mein unbedingter Wunsch, ihn so zu nehmen wie er ist UND auch wie er sein will, beinhaltet auch, dass ich ihn ernst und für voll nehmen muss, als den, den er darstellt, selbst wenn ich innerlich ein ungutes Gefühl dabei habe, ja selbst dann wenn ich genau weiß, dass er das garnicht ist, gar nicht sein kann. Ich nehme das alles immer weiter für wichtig und für voll, zum einen, weil ich ihn liebe und deshalb möchte, dass er sich von mir ernst genommen und angenommen fühlt und zum anderen, weil ich, wenn ich ihn mit einem möglichen Fake konfrontiert habe, ja sowieso nur immer neue und absurdere Lügen präsentiert bekommen habe. 

Aber ich wurde mit jedem Mal leerer und erschöpfter. Und jetzt zieht es mich zum ersten Mal weg von ihm. Teilweise stößt es mich sogar schon ab, denn so geht es jetzt schon über 4 Jahre. In dieser Zeit habe ich mich sehr verändert. Ich habe nach und nach und mit jeder Enttäuschung gelernt, den Fake so gut es geht vom echten Menschen zu trennen.

Ich versuche seit ein paar Wochen, seine echten Anteile so liebend zu behandeln wie zuvor, aber den Fake-Anteilen die Stirn zu bieten. Das ist unglaublich anstrengend! Es zieht mir sehr viel Energie ab! Es verlangt von mir fast Unmögliches, nämlich wenn ich emotional aufgeregt bin (Wut, Trauer, Enttäuschung) nicht emotional aus dem Bauch heraus, sondern rational mit dem Kopf zu agieren. Ohne absolute Kontrolle über meine Reaktionen, ohne totale Wachsamkeit und Aufmerksamkeit bin ich den Lügen sonst hilflos ausgeliefert und tappe in die nächste, schon für mich aufgebaute Falle.

Der Fehler liegt bei mir. Denn ich wirke selbstbewusst, bin laut, direkt und schlagfertig im äußeren Eindruck. Solche Menschen werden von anderen eher gemieden, wie ich erfahren durfte. Ich wurde deswegen in sozialen Gruppen und in der Familie immer wieder angegriffen oder ausgegrenzt. Daraus entstand bei mir der Eindruck, ich müsste den anderen zum Ausgleich, weil meine Persönlichkeit ihnen so viel abverlangt, dafür etwas geben, dass sie mich mögen oder lieben können. Ich entschied mich also dazu, zum Mädchen für Alles, zu der perfekten Tochter, zu dem selbstlosen immer bereit stehenden, alles tolerierenden Kumpel, der coolen, verständnisvollen Freundin, der bedingungslos liebenden, devoten Frau zu werden und meine Bedürfnisse fast gänzlich zurück zu nehmen. Irgendwann habe ich sie als falsch oder zu viel empfunden, meine Bedürfnisse. Habe sie verleugnet, mich deswegen gerechtfertigt, sie für weniger wichtig genommen. Selbst Bedürfnisse wie Sexualität, das Erfahren von Liebe, von Wertschätzung… all das habe ich mir versagt, nicht mehr als zu meiner Person zugehörig empfunden. 

Ich wollte einfach keine Belastung oder Anstrengung für den Anderen sein. Ich wollte easy sein und, dass man mit mir möglichst nur angenehme Gefühle verbindet. Davon habe ich mir engere Bindungen in Familie, Beziehung und Freundschaft versprochen. Das weitete sich sogar noch auf materielle Dinge wie das Bezahlen für die anderen aus. Es ging fast in jedem Fall auf meine Kosten. 

Aber das ist ein unglaublicher Fehler den ich mache! Ich mache das schon seit über zwanzig Jahren so und leide höllisch darunter. Und warum? Tja, weil sich die Menschen daran gewöhnt haben, mir nichts geben zu müssen, dass ich mit dem Wenigsten, ja sogar mit nichts als der bloßen Anwesenheit schon zufrieden bin. Ich lüge diese Menschen immer weiter an, um ihnen ein gutes Gefühl mit mir zu geben und werde im Gegenzug völlig vernachlässigt und leide, wie eine Pflanze, die sich selbst das Wasser versagt, um es den anderen zu lassen, damit sie bleiben.

So konnte ich nicht wachsen und stark werden. So konnte ich mich selbst nicht mögen lernen. Und ich lebe heute dadurch ein Leben in dauerndem Mangelgefühl! Bekomme ich ein wenig Zuwendung oder Wertschätzung, ist mir das selbstverständliche Annehmen fremd geworden. 

Ich hatte mich damit abgefunden, für immer in diesem Mangel zu leben, mit diesem ständigen ungestillten Hunger, diesem Hunger nach dem Erfahren von Liebe und Einheit, Sicherheit und Vertrautheit. Diese für andere so selbstverständlichen Bedürfnisse und Wünsche, waren nur noch unerfüllbare Träume für mich, niemals real erfahrbar. Also habe ich aufgehört, für mich, meine Bedürfnisse und meine Wünsche einzustehen. Denn, etwas zu fordern verlangt dem anderen ab, mir etwas zu geben, mich zu priorisieren, für mich etwas zu tun, zu mir zu stehen… usw. Und das mag der Andere ja nicht!

 

Und am Ende blieb von mir nur ein NICHTS übrig. 

Eine Fakepersönlichkeit mit leidendem Kern. Voller Angst! Ein Mensch, der in seiner Beziehung Liebe nicht gezeigt bekommen muss, keine Begehren erfahren muss, keine Periodisierung oder offen gezeigte Wertschätzung erfahren muss. Und das nur, weil ich sie nicht eingefordert habe, aus oben genannten Gründen. 

Ich dachte, wenn ich nur genug selbstlos auf mich nehme, ganz besonders aufmerksam bei anderen und für andere bin, wenn ich leidensfähiger als andere bin, wenn ich geduldiger, verständnisvoller bin, wenn ich trotzdem bleibe, obwohl man mich verletzt, altruistischer als jeder andere selbst den letzten Pfennig gebend, selbst wenn man ihn sich heimlich von der Mutter leihen muss… 

Und all das nur, damit die anderen es mit mir schön haben und mich irgendwann für all das, was ich für sie getan habe, für all das, auf was ich selbstlos wegen ihnen verzichtet habe, oder für all das was ich ihnen Verletzendes verziehen habe, lieben und ganz hoch schätzen werden. 

Leider ist es nur in sehr wenigen Fällen dazu gekommen, dass mich Menschen lieben oder hoch schätzen. Und der Witz dabei ist, dass das alles Menschen waren, bei denen ich ich selbst gewesen bin und nicht diese Fakepersönlichkeit. 

Ich bin damit so unglaublich unglücklich! Denn, einerseits liebe ich mich jetzt mehr und weiß, dass ich niemandem etwas wie oben beschrieben geben muss, damit er mich liebt, schätzt oder gut behandelt. Und das ist schön! Aber diese Erkenntnis verlangt mir ab, dass ich den Menschen einen völlig anderen, wenn auch echteren Menschen, präsentieren muss, der plötzlich Grenzen hat, der andere kritisiert wenn sie ihn schlecht behandeln und eine nicht verletzende Verhaltensanpassung von ihnen einfordert. Kurz gesagt, einfach jemand, der dem anderen auch mal etwas abverlangt und in manchen Bereichen auch mal etwas mehr. Ein solcher Mensch zu sein habe ich völlig verlernt, wenn gar nie richtig gelernt zu sein.

Wenn, wie bei mir geschehen, das Selbstvertrauen eines Kindes mit Selbstüberschätzung oder Dominanz verwechselt wird und daraufhin das Kind, um es zu einem sozial kompetenten und integrierten Wesen zu erziehen, bewusst klein gehalten wird (Lernen von Bescheidenheit), man es verunsichert oder kritisiert (Lernen von Demut), wenn man ihm das Gefühl gibt, so nicht richtig zu sein (Lernen von Selbstkritik), dann passiert im Inneren eines solchen Kindes Folgendes:

Anfangs weiß man noch wer man ist, was man für sich will, was man könnte, was man sich zutraut. Aber da man das im Außen nicht sein darf, denn dann wird man so nicht angenommen, ist man gezwungen, sich so zu geben, wie es die anderen wollen, wie es ihnen wichtig ist und wie es ihnen gefällt. Selbst wenn man versucht, sich den inneren Kern über die Jahre zu bewahren, läuft im Außen wenn man älter wird, automatisch dieser „Anpassungsprozess“ immer weiter ab und es entsteht im schlimmsten Fall eine im außen agierende Fakepersönlichkeit, die die anderen so wie sie ist kennen und im besten Fall mögen oder lieben. Man verhält sich so immer wieder anders als man es im wahren Kern eigentlich will. Man entscheidet sich anders, als man eigentlich will. Man verzichtet und nimmt sich zurück, wenn man es eigentlich nicht will… usw. 

Und aus dieser Fakepersönlichkeit erwächst unmerklich eine Persönlichkeit, ein eigenes Leben, inklusive eines erdrückenden Berges voller falscher Entscheidungen (um geliebt und gemocht zu werden). Es erwachsen einem Nachteile, und es wächst dieser Mangel und der Hunger nach dem, was man eigentlich will aber sich nicht für sich zu fordern traut (um nicht abgelehnt oder ausgegrenzt zu werden). Es erwächst ein Zwang, diese Fakepersönlichkeit weiter am Leben zu erhalten, da der andere an konsequentem und konstantem Verhalten die Persönlichkeit eines Menschen abliest. Daraus erwächst dann folgender universeller Fehlschluss:

Will man für gütig, selbstlos, verständnisvoll, unkompliziert gehalten werden, muss man es IMMER SEIN und sich IMMER SO GEBEN, auch wenn man dabei auf der Strecke bleibt, auch wenn man nichts abbekommt, selbst wenn es wehtut. Um glaubwürdig zu sein!

Will man für bedingungslos liebend gehalten werden, darf man keine Bedingungen stellen. Man muss bereit sein, wie Bonnie ihren Clyde, selbst die abstoßenden Bereiche des anderen zu lieben und treu an seiner Seite stehen. Um auf die gleiche Weise auch zurück geliebt zu werden!

Will man als nicht fordernd, unkompliziert und easy wahrgenommen werden, muss man ALLES easy nehmen, nichts fordern und auf Anspruch und Niveau verzichten, auch wenn es einem etwas weg nimmt was man nicht hat, etwas von einem abverlangt, was man eigentlich nicht bereit ist zu geben, selbst wenn es einen verletzt oder herabwürdigt. Um Sicherheit und Verständnis auszustrahlen, um Weitsicht und Loyalität zu beweisen, um gemocht und integriert zu werden! 

Natürlich wachsen, wenn man sich konsequent bei den anderen so gibt, dieser Hunger und dieser Mangel im Inneren weiter ständig an. Dann folgt der nächste fatale Schritt:

Irgendwann ist man dann trotz aller oben beschriebener „Konsequenz im Handeln“ auch mal wegen irgendwas enttäuscht oder wütend und es bricht aus einem heraus. Aber wenn man es anspricht, spricht in diesem seltenen Moment dann automatisch auch jede einzelne Verletzung und jeder einzelne Verzicht, die sich in einem angesammelt haben, aus einem. Alles Leid, alle Traurigkeit und Enttäuschung die man jemals erfahren hat, fühlt man in diesem Moment zur gleichen Zeit.

Das fühlt sich so furchtbar an, dass man sich nur deswegen traut – und das auch nur ganz kurz, aber dafür sehr laut und unerbittlich – Gerechtigkeit, Erwiderung, Vergeltung, Ausgleich zu fordern, für alles, was einem je von diesem Menschen angetan wurde. Man kommt von einer Verletzung zur anderen, von einem Verzicht zum anderen, von einer Enttäuschung zur anderen, und man zeigt dem anderen diesen riesigen erdrückenden Berg der sich angesammelt hat. Davon ist dieser dann natürlich überfordert. Und man verlangt dann vielleicht auch zu viel vom anderen, weil in einem solchen Moment nur noch dieser große, schmerzhafte Mangel aus einem spricht, und diese übergroße Gier nach Erfüllung aller bislang unerfüllten Bedürfnisse und Sehnsüchte, die aus ihm erwächst. 

Ein solches Verhalten beantwortet das Gegenüber in den allermeisten Fällen dann mit Zurückweisung, Verweigerung oder sogar Ablehnung! Denn der andere kennt es ja nicht, dass von ihm etwas gefordert wird, dass auch er etwas Verletzendes tut, dass er egoistisch handelt, dass er eigentlich viel zu wenig gibt oder tut, dass auch er mal zurück stecken muss, das er die Grenze des anderen auch überschreitet und zurückweichen muss, oder ganz allgemein, dass man etwas von ihm verlangt, und sei es nur Akzeptanz oder Einsicht!

Was ist dann die eigene Reaktion auf diese Zurückweisung, Verweigerung oder Ablehnung des anderen?  Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten:

  1. Verlassen. 
  2. Resignation.
  3. Selbstaufgabe.
  4. Betäubung.
  5. Selbsthass.
  6. Mord. 
  7. Selbstmord. 

 

 

Alles schlimm. Aber es gibt noch etwas Schlimmeres. Das war meine Reaktion und der nächste fatale Schritt auf meinem Irrweg: Es vormachen!

Was meine ich damit. Ich habe mich entschieden, den anderen dazu zu bringen, mir das zu geben, was ich mir von ihm wünsche, indem ich ihm das konsequent gegeben habe – selbst wenn nichts, nicht mal eine Reaktion, zurück kam. Auch wenn mir mein Partner nicht gesagt hat, dass er mich liebt, habe ich es ihm gesagt. Auch wenn mein Partner mich nicht begehrte, habe ich ihm gezeigt, dass er begehrenswert ist. Auch wenn mein Partner für mich kein Geld ausgibt, habe ich meinen letzten Euro investiert und ihm das „beruhigende“ Gefühl gegeben, dass mich das nicht schmerzen würde. Auch wenn mein Partner nicht für mich da ist, war ich für ihn da. Auch wenn von seiner Seite keine Romantik kam, habe ich romantische Situationen erzeugt. usw.

Es war ein letztes Aufbäumen. Ein letztes Mal alle Kraft zusammen nehmen im Sich-Zusammennehmen. Ein Zeigen wie es geht. Ein „Hey, schau mal wie ich das mache! So finde ich das schön. So hätte ich das auch gerne!“. Das hat dem anderen natürlich gefallen und er hat es angenommen ohne es gefordert zu haben. Und deshalb hat er sich auch nicht gemüßigt gefühlt, es zurück zu geben. Ich habe dabei sogar noch betont, dass ich das freiwillig gebe ohne das Gleiche auch zu fordern. Ich habe gegeben, ohne darum gebeten worden zu sein, und erwartet, dass der andere irgendwann so viel genommen hat, dass er sich aus schlechtem Gewissen dazu „verpflichtet“ fühlt, mir das Gleiche zurück zu geben. 

Und das habe ich dann versucht für mich so zu verbuchen, als sei es dadurch trotzdem irgendwie aus dem Anderen entsprungen. Er gibt eben mal zurück, was er die ganze Zeit von mir  (an)genommen hatte. Irgendwann ist automatisch Zahltag, habe ich gedacht, denn mein geliebtes und gemochtes Gegenüber hat doch Moral. So viel nimmt doch keiner, ohne sich dabei automatisch auch irgendwann schlecht zu fühlen, weil er nichts zurück gibt. Ein solcher Mensch hätte doch keine Moral! 

Ist in erster Instanz auch so! Aber dennoch ist es die Moral, die es mir auf diesem (Irr-)Weg letztendlich unmöglich gemacht hat, mein Ziel zu erreichen!

Der Gegenüber nimmt das freiwillig Gegebene von mir an. Er beginnt aber, es dann irgendwann für selbstverständlich zu nehmen und es weniger wertzuschätzen. All das tut er, während er genau weiß, dass er selbst nichts zurück gibt. Er erklärt sich das eine Zeit lang, oder vielleicht auch für immer, mit der Freiwilligkeit, mit der es ihm gegeben wurde!

Aber im Inneren hat jeder von uns dieses Gefühl für Verhältnismäßigkeit! Man kann die Statistik zwar nach außen hin anders interpretieren, aber Zahlen lügen nicht! Jeder weiß, wie viel er bekommen, angenommen, konsumiert hat, ohne dafür etwas zurückgegeben zu haben. Unverhältnismäßigkeit oder Ungerechtigkeit appelliert automatisch an unsere Moral, ob wir es wollen oder nicht!

In ganz seltenen Fällen gibt dann der andere vielleicht irgendwann doch etwas zurück, weil er lernen will oder sich sogar erinnert, dass er liebt. Aber in den allermeisten Fällen, weißt der andere einfach weiter zurück oder verletzt den anderen bewusst, weil er sich so schlecht damit fühlt, so viel zu nehmen oder schon genommen zu haben, ohne etwas zurück geben zu wollen, und schämt sich dafür!

Die Konsequenz, mit der ich dieses Ausleben meiner Fakepersönlichkeit durchgezogen habe, hat mir über die Jahre fast gänzlich mein Gefühl für mich selbst, für meine eigenen Grenzen genommen. Ich habe mich von Freunden, Familie und Partnern demütigen, ausnutzen, verletzen, beleidigen, geringschätzen lassen und habe immer weiter gegeben, war immer weiter für sie da, in der Hoffnung, sie würden es irgendwann lernen oder aus Moral zurückgeben. 

DEM WAR BEI MIR NICHT SO!
IN KEINEM FALL!

Mein Lieblingsmärchen ist Aschenputtel. Mit dieser Figur konnte ich mich schon als junges Mädchen völlig identifizieren. Diese Figur lebte meinen Traum. Ausgegrenzt, verletzt und missachtet, gering geschätzt und verkannt, ausgenutzt und ihrer wahren Stellung beraubt wird sie irgendwann für all ihre Mühen und Entbehrungen belohnt. Denn sie wird gefunden, erkannt, erwählt und gerettet von ihrem Prinz. 

Mein Aschenputtel aber hockt nach all den Jahren immer noch in der Asche! Eben weil mein Leben kein Märchen ist, in dem es auf Ungerechtigkeit nur eine Antwort gibt: Einsicht, bzw. Reue und Sühne auf Täterseite. Belohnung und Wiedergutmachung auf der Opferseite. 

Ich habe Folgendes verstanden: 

  1. So wie im Märchen funktioniert die Welt nicht! Es fügt sich nicht automatisch alles hin zum Guten. Es gibt keine automatisch alles wieder ausgleichende Gerechtigkeit! 
  1. Man ist nichts, wenn man für sich nichts fordert! Denn nur wenn man fordert, ist man sich seines eigenen Wertes bewusst und macht deutlich, welche Behandlung man erfahren will.
  1. Man wird nicht automatisch als anstrengend oder abstoßend wahrgenommen, wenn man etwas vom anderen fordert. Es macht keine Freundschaften oder Beziehungen kaputt, sondern gibt dem glattgeschliffenen Bild meiner Persönlichkeit das nötige Profil. Und dadurch werde ich überhaupt erst für den anderen wahrnehmbar
  1. Nur wenn man auch etwas fordert, während man gibt, kann man überhaupt etwas zurück bekommen. Und man wird nicht durch das Fordern an sich schon zu einem ungewollten oder ungeliebten Menschen. 
  1. Richtig ist: Jeder Mensch GIBT UND NIMMT zur gleichen Zeit! 
  1. Falsch ist: Der Mensch gibt nicht erst und bekommt dann irgendwann!

Da mein Berg des Mangels, der Enttäuschung, Verletzung und Entbehrung sehr groß ist, denn es hat sich durch mein konsequentes Verhalten so einiges angesammelt, denke ich, dass es richtig ist, ihn nach und nach abzutragen. 

Man nimmt einen Brocken nach dem anderen und korrigiert ihn, indem man sich traut, in diesem jeweiligen Punkt, in der jeweiligen Situation, seine Grenze zu zeigen ohne die schlimme Konsequenz zu fürchten, alles zu verlieren, seine Bedürfnisse zu äußern und deren Erfüllung vom nehmenden Gegenüber einzufordern, ohne Angst vor Zurückweisung, den anderen konfrontieren, wenn er einen verletzt, ohne Angst vor Streit und Ablehnung. Einen Brocken nach dem anderen. 

Es geht darum, überhaupt zu fordern! Jedoch ohne das unbedingte MUSS der sofortigen Erfüllung. Es geht darum, überhaupt etwas zu sagen, ohne das unbedingte MUSS, dass sich das dann auch sofort oder überhaupt ändert. Es geht darum, es überhaupt nur anzusprechen was einen verletzt, auch wenn dann ein Streit folgen mag. 

 

Es ist IMMER WICHTIGER überhaupt etwas zu tun!

Und wenn einem in einer Sache die Konsequenz momentan noch zu groß erscheint, wie zum Beispiel sich zu trennen, dann nimmt man sich von dem Berg eben einen anderen Brocken heraus und macht es dort richtig!

Momentan zieht es mich hin zum Schlussmachen. Ich habe den Brocken noch nicht herausgenommen bisher. Aber ich habe zumindest den Berg schon so weit abgetragen, dass ich ihn sehen kann. Aber ich muss den selbst angehäuften Berg weiter stetig Brocken für Brocken abtragen! Ein anderer wird es nicht für mich tun! Und irgendwann bleibt dann nur noch dieser eine Brocken. Jedoch im Moment hoffe ich noch, nehme mir erst mal die leichteren Brocken vor und setze mein letztes Geld auf seine Liebe für mich, von der ich hoffe, dass er sie irgendwann auch spürt und danach handelt. 

Selbst ich gehe irgendwann. 
Spätestens dann, wenn nur noch dieser eine Brocken übrig ist!

Bis wieder.
Bis bald.

posted by
Die Nachdenkerin